Tourberichte

Tour im März


EUFOMEDA-Hilfseinsatz März 2024 - Südukraine – ein Bericht von Dr. med. Matthias Werner

 

Am 09.03.24 beginnt mein 5. Hilfseinsatz für die Ukraine. Abfahrt 04.30 Uhr. Die Medikamente und Hilfsgüter sind verpackt, die Anstrengungen der wochenlangen Vorbereitung bereits vergessen. Alle sind pünktlich, ein gutes Zeichen. Mit dabei Roland, der Mann mit den meisten Einsätzen, er ist Feuerwehrmann und Sanitäter aus Berlin. Marco, es ist sein erster Hilfseinsatz mit EUFOMEDA, er ist Rettungssanitäter. Erneut dabei ist mein Freund aus der Schulzeit Gunter, Arzt. Er ist unser Garant für gute Laune...

 

Wir wollen versuchen in einem Rutsch bis Lviv im Westen der Ukraine durchzufahren. Das bedeutet über 20 Stunden Fahrtzeit und schlafen während der Andere fährt. Roland und ich fahren den Transporter, die beiden Anderen den Rettungswagen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir den ukrainischen Zoll. Ich frage mich ob Unfreundlichkeit eine Einstellungsvoraussetzung des ukrainischen Zolls ist. Wir werden eine Zeitlang bewusst ignoriert. Ein Priester aus Wuppertal, in der Ukraine geboren, redet ein ernstes Wort mit dem Zöllner, dann geht alles schnell und wir können weiterfahren. Bei meinem allerersten Hilfseinsatz vor ca. 2 Jahren war ich beim Überqueren der Grenze sehr aufgeregt. Mittlerweile ist der Grenzübertritt und der Aufenthalt in einem Kriegsgebiet zur Routine geworden.

 

Nach 22 Stunden Fahrt erreichen wir unsere Unterkunft in Lviv. Nach 5 Stunden Schlaf und weiteren 14 Stunden Fahrtzeit erreichen wir unser Ziel Mykolaiv. Dort beziehen wir die Unterkünfte für die kommenden Tage. Leider ist die versprochene große Unterkunft bereits vergeben und so beziehen wir zu zweit jeweils eine kleine Wohnung. Eine Wohnung ist eine Mausefalle: Die Tür zum Treppenhaus muss abgeschlossen werden, wir haben nur einen Schlüssel und der Schlüssel klemmt. Wenn hier eine Rakete einschlägt kommen wir nur schwer aus dem Haus...nicht drüber nachdenken, wird schon gut gehen. In der anderen Wohnung ist Schimmel, die Küche nicht zu benutzen. Die Vermieterin der Wohnung erklärt die Sprünge in den Scheiben, die stammen von dem letzten Raketenangriff. Wir wissen, auf was wir uns einlassen und was wir riskieren und die Einwohner müssen hier schließlich Tag für Tag leben...

Dann endlich ausruhen.

 

Der Dienstag wird genutzt für Vorbereitungen und Einkäufe. In den Geschäften gibt es alles zu kaufen was man sich wünscht und morgen fahren wir dorthin, wo die Menschen nichts haben. Welch ein Kontrast! Abends gibt es Luftalarm , wie jeden Tag. 

 

Am Mittwoch Treffen mit unseren Begleitern vom Militär. Wiedersehensfreude, Umarmungen, Lachen, Herzlichkeit. Es folgt die Einsatzbesprechung, Vorstellung des neuen Übersetzers und schon geht es los. Aufgrund des russischen Beschusses und der vielen Beobachtungsdrohnen dürfen wir nicht so nahe an die Front wie bei unserem letzten Einsatz. Schade, ich habe mich so auf ein Wiedersehen mit den damaligen Patienten gefreut.

In unser aktuelles Einsatzgebiet dürfen derzeit nur wir. Anderen ausländischen Hilfsorganisationen ist es verboten, da zuvor 2 französische Helfer in dieser Region durch russischen Beschuss ums Leben kamen.

Wir passieren 2 Checkpoints bis wir unser Einsatzgebiet erreichen. In unserem ersten Einsatzort liegt ein Militärlazarett. Hier werden Verwundete begutachtet und vor Ort versorgt oder bei schweren Verletzungen weitertransportiert. Unsere Fahrzeuge müssen wir unter Bäumen verstecken damit sie nicht von der russischen Aufklärung entdeckt werden. Niemand will ein Risiko eingehen...

 

Wir packen aus und beginnen mit unserer Arbeit. Über 50 Patientinnen und Patienten werden es heute sein. Zwischendurch verteilen wir Spielsachen an Kinder, die extra aus der Schule kommen dürfen. Leuchtende Augen, Freude, ein Fünkchen Hoffnung zwischen all den zerstörten Gebäuden. Wir sind hier in einem Bereich, in dem es heftige Gefechte gegeben hatte und der eine Zeitlang von russischen Truppen besetzt war. Überall Einschusslöcher und Anzeichen heftiger Kämpfe, viele zerstörte Häuser aber überall bereits Zeichen des Wiederaufbaus. Sehr erfreulich ist: es gibt in unserem Arbeitsgebäude eine Toilette und nicht das übliche Loch im Boden mit ein paar Brettern drumherum. Die Spülung besteht aus Wasserkanistern.

Ein Mädchen malt uns als Dank für unsere Geschenke ein berührendes Bild. Selbst einem "unserer" militärischen Begleiter stehen Tränen in den Augen...

Nach einigen Stunden Arbeit packen wir zusammen und fahren ab. Viele Einwohner winken, eine alte Frau steht am Straßenrand und segnet uns. Wir sind endlich wieder dort, wo wir dringend gebraucht werden!

 

Die nächsten Tage sind arbeitsreich. Wir versorgen insgesamt über 230 Einwohner in 5 Dörfern medizinisch, verteilen die in Deutschland gespendeten medizinischen Hilfsmittel wie Rollatoren, Gehstützen, Verbandsmaterial sowie die von uns gesammelten Kleidungsstücke. Jedem Patienten können wir einen Beutel mit Hygieneartikeln (Zahnpasta, Zahnbürste, Seife, Kamm) schenken. Die Hygieneartikel hatten wir von Spendengeldern gekauft und selbst verpackt. In jedem Dorf können wir allen Kindern mit Spielsachen eine Freude machen.

 

Was mir persönlich zu schaffen macht ist, dass seit unserem letzten Hilfseinsatz so viel mehr Einwohner einen oder mehrere ihrer Liebsten im Krieg verloren haben: Frauen ihren Mann, Mütter ihre Kinder, Kinder ihre Eltern.......

Sehr berührt hat mich ein junger Mann. Er kann kaum reden, hat Lähmungen sowie viele Narben in seinem Gesicht und am Kopf. Unser Dolmetscher erklärt mir, dass der junge Mann in russisches Schrappnellfeuer geraten war. Dabei wurden seine beiden Brüder getötet, er wurde schwer verletzt, Metallsplitter stecken noch in seinem Kopf. Ich überlasse ihm meine Wanderschuhe, da seine einzigen Schuhe Gartenclogs sind.

Es gibt noch viele solcher traurigen Geschichten…..

 

Dass wir in einem Kriegsgebiet sind, wird einem immer wieder bewusst gemacht:

Als wir mit den Fahrzeugen unterwegs sind, muss ich einmal austreten, werde aber energisch von den Soldaten zurückgepfiffen, beiderseits der Straße liegen Minen, die die russischen Besatzer bei ihrem Rückzug „hinterlassen“ haben...

In Mykolaiv müssen wir Medikamente nachkaufen. Die Preise erschrecken mich, denn sie kosten kaum weniger als in Deutschland. Manche Kunden in der Apotheke kaufen Tabletten einzeln, mehr können sie sich nicht leisten.

Nachdem bei unserem letzten Hilfseinsatz Granaten bis zu 500m Entfernung von uns einschlugen, bleiben wir diesmal von Artilleriebeschuss verschont. Es gibt aber Raketenangriffe auf Mykolaiv. Unser Stadtteil wird nicht getroffen, der russische Angriff tötet aber in einem anderen Stadtteil Zivilisten. Ich habe mal wieder Glück, aber andere Menschen, auch Kinder, haben es leider nicht.....

 

Am Ende unseres Hilfseinsatzes werden wir überraschend dem verantwortlichen Gebietsleiter der Region vorgestellt und jeder im Team erhält eine namentliche Dankesurkunde. Wir freuen uns sehr!

 

Was bleibt von dieser Tour:

  • eine große Dankbarkeit Menschen in Not helfen zu können sowie deren Freude und Dankbarkeit erleben zu dürfen
  • eine große Traurigkeit ob der Schicksale, die uns berichtet wurden (ich will ihnen die Grausamkeit der russischen Besatzer hier ersparen, will darüber auch nicht schreiben...)
  • die Freude auf meinen nächsten Einsatz und die Gewissheit das Richtige zu tun

 

Matthias Werner


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